War die Vernichtung aserbaidschanischer Kultur in Karabach nicht gezielt?
In Lisa Schneiders aktuellem Kommentar aus der taz findet sich folgende bemerkenswerte Passage:
„Auch Armenier haben aserbaidschanische Kultstätten, etwa die Moscheen von Shusha und Agdam, geplündert und teilweise zerstört. Es sei aber nicht das Ziel gewesen, die Existenz aserbaidschanischer Kultur zu verschleiern oder ihre Spuren zu tilgen. In Aserbaidschan hingegen ist es Teil des Narrativs, die armenische Geschichte der heute zu der Öldiktatur gehörenden Landstrichen zu leugnen. Und dafür muss man sie auslöschen.“
In dem ersten Satz wird das unleugbare Faktum konstatiert, dass Armenier während der etwa 30 Jahre währenden Besetzung Karabach Moscheen geplündert und zerstört haben. Dass noch viel mehr an aserbaidschanischem kulturellem Erbe von ihnen vernichtet wurde, könnte man an dieser Stelle ruhig anmerken. Im selben Atemzug erklärt Schneider, dass das „Ziel“ bei der geschilderten Vandalisierung nicht gewesen sein soll, die Existenz aserbaidschanischer Kultur zu verschleiern oder ihre Spuren zu beseitigen.
Der physische Akt der Vernichtung signifikanter und großer Teile des aserbaidschanischen Kulturerbes von Karabach, der die Tilgung von Spuren aserbaidschanischer Kultur darstellt, soll zugleich nicht das Ziel gehabt haben, diese zu tilgen. Es soll also möglich sein, dass man etwas tatsächlich vernichtet, ohne es vernichten zu wollen. Wie soll das gehen?
Die einzige logische Erklärung für diesen Satz wäre, dass Armenier während der Besatzung aserbaidschanische Kulturdenkmäler gewissermaßen aus Versehen vernichtet hätten. Das ist eine Behauptung, die angesichts des massiven Aufwands, den Armenier während der Besatzung betrieben haben, um aserbaidschanische Kulturdenkmäler zu beschädigen, zu zerstören und zu stehlen, keine weitere Beachtung braucht. Die Zerstörung war systematisch, gezielt und gewollt.
Als Quelle für die oben zitierte Behauptung führt Schneider ein in den USA situiertes wissenschaftliches Projekt an, an dem Armenier führend beteiligt sind, aber keine Aserbaidschaner, und das von armenischen Organisationen unterstützt wird. Den Finanzierungshintergrund erwähnt Schneider in ihrem Kommentar wohl gezielt nicht.