Armenien und Aserbaidschan vor Abkommen?
Die aktuellen Entwicklungen in Karabach muss man auch vor dem Hintergrund der globalen politischen Situation evaluieren. Russland verliert aufgrund seines verbrecherischen und fatalen Überfallkriegs gegen die Ukraine auch im Südkaukasus an Einfluss. Dies erschwert unter anderem das Handeln der nach dem Abkommen von 2020 auf aserbaidschanischem Territorium installierten russischen "Friedensschaffer".
Dass die USA jetzt eine vielversprechende neue Gesprächsinitiative zwischen Armenien und Aserbaidschan gestartet haben, kann man einerseits als Folge der russischen Schwächung deuten. Ebenso ist das bei Washington abgehaltene Treffen als Signal an die Volksrepublik China zu verstehen, dass die USA ihre diplomatische Präsenz im Nahen Osten nicht aufgeben und vielleicht sogar wieder ausweiten wollen. Die VR China hatte ja vor Kurzem in ihrer Hauptstadt erfolgreich eine ähnliche diplomatische Initiative zur Verbesserung der Beziehungen zwischen zwei nahöstlichen Konfliktpartnern (Iran und Saudi-Arabien) erfolgreich abgeschlossen und war durch diesen diplomatischen Coup zum ersten Mal in seiner Geschichte als Hauptakteur auf der nahöstlichen Bühne offen sichtbar geworden.
Die von Blinken nun in ziemlich optimistischen Worten in Aussicht gestellte Lösung reflektiert einerseits den aktuellen Stand der Entwicklungen vor Ort im Südkaukasus. Dort hat Aserbaidschan nach dem spektakulären Sieg im Krieg von 2020 große Teile seiner nationalen Souveränität wiederhergestellt und setzt Armenien seither auf verschiedenen Ebenen unter Druck, um zu einer endgültigen Lösung der jahrzehntelangen Spannungen mit Armenien zu kommen, idealerweise im Rahmen eines Friedensvertrags. Anderseits zeigt die US-Initiative auf, wie die geopolitische Struktur in der Region in der Postputin-Ära aussehen könnte, in der Russland seine traditionelle politische Dominanz im Südkaukasus verloren haben wird und China und die USA stärker auf den Plan treten.
Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan hatte immer sowohl eine bilaterale und lokale als auch eine über diese beiden Länder hinausgreifende Dimension. Das gegenwärtige amerikanische Vorgehen wirkt sehr klug, weil es zwar einen international vermittelten Lösungsvorschlag anbahnt, jedoch (anders als dies beispielsweise in der Sowjetzeit immer wieder der Fall war) den Seiten keine Lösungen diktieren, sondern sie diese offenbar selber finden lassen will.